Stellungnahme vom 23.7.2016 zum
Türkei-Putsch und zur Todesstrafe in der EU von Dr. Eva
Maria Barki, Rechtsanwältin in Wien mit Spezialgebiet
Nationalitäten-, Volksgruppen- und Menschenrecht.
Die Reaktion der
Europäischen Union und zahlreicher Politiker aus Anlass des gescheiterten
Putsch-Versuches und deren Folgen in der Türkei geben Anlass
zur Besorgnis.
Wieder einmal zeigt
sich die politisch motivierte, sachlich nicht gerechtfertigte und daher
ungleiche Behandlung von Staaten und Regierungen, auf die aus geopolitischen
oder wirtschaftlichen Gründen Druck ausgeübt werden soll.
Anstelle sich mit
den wahren Ursachen und Zielen des Putsch-Versuches auseinanderzusetzen,
welcher nicht nur mindestens 200 Todesopfer gefordert hat, sondern welcher
zweifellos zur Destabilisierung im Inneren beigetragen und das
Konfliktpotential in der gesamten Region erhöht hätte, werden die Reaktionen
zur Wiederherstellung von Recht und Ordnung kritisiert.
Selbst wenn diese
Kritik in jenem Bereich berechtigt ist, in welchem rechtsstaatliche
Grundsätze verletzt werden, so ist das zweierlei Maß, mit dem gemessen wird,
unangebracht.
Beispielhaft hierfür
ist die Ausrufung des Notstandes und teilweise Aussetzung der Europäischen
Menschenrechtskonvention für die Dauer von 3 Monaten sowie die Diskussion über
eine allfällige Wiedereinführung der Todesstrafe. Beides unterliegt
einer heftigen Kritik, während diese bei anderen Staaten vermisst wird.
In Frankreich
erfolgte die Ausrufung des Notstandes unter Aussetzung der Europäischen
Menschenrechtskonvention aus weniger gewichtigen Gründen und wurde nunmehr um
weitere 6 Monate verlängert.
Die Ukraine
hat die Europäische Menschenrechtskonvention auf dem Gebiet des eine Autonomie
fordernden Ostens ausgesetzt, wiewohl die Voraussetzungen des Artikel 15
EMRK, nämlich öffentlicher Notstand bzw. Bedrohung des Lebens der Nation,
von der Zentralregierung selbst durch Ausübung aggressiver Gewalt hervorgerufen
wurde, und zwar gegen eine Volksgruppe, welche ihr Recht auf Selbstbestimmung
gemäß Artikel I. der beiden UN- Menschenrechtspakte 1966 geltend macht. Eine
Verurteilung der Verletzung dieses wesentlichsten Grundsatzes des
Völkerrechtes ist ausgeblieben.
Ebenso ist zu
bemerken, dass auch Großbritannien nicht gerügt wird, wiewohl seit dem
11.9.2001 Artikel 5 EMRK de facto außer Kraft gesetzt wird. Einreisende
Personen, welche für Terroristen gehalten werden, können auf unbegrenzte Zeit
in Sicherungshaft genommen werden, Passanten können unter Terrorverdacht angehalten
und durchsucht, sowie ihre Telefone abgehört werden.
All diese
Rechtsverletzungen werden mit Stillschweigen zur Kenntnis genommen, während
andere Regierungen aus politisch motivierten Gründen sogar für
Rechtsverletzungen gerügt werden, die objektiv gar nicht vorliegen. Ungarn ist
ein Beispiel.
Besonders zynisch
und gleichzeitig eine Verletzung des Grundsatzes der Freiheit der
Meinungsäußerung ist die Verurteilung jeglicher Diskussion über die
Todesstrafe.
Zynisch deshalb,
weil die Europäische Union selbst die Verhängung der Todesstrafe nicht abgeschafft,
sondern ausdrücklich in ihrem Rechtsbestand beibehalten hat. Das Protokoll
Nr. 13 zur Europäischen Menschenrechtskonvention, welches die vollständige
Abschaffung der Todesstrafe beinhaltet, wurde in die Charta der Grundrechte der
Europäischen Union ausdrücklich und bewusst nicht aufgenommen.
Im Gegensatz dazu
wurden in den Erläuterungen zur Charta der Grundrechte vom 14.12.2007 (2007/C 303/02) jene Bestimmungen der
Europäischen Menschenrechtskonvention aufgenommen, welche sowohl die
Todesstrafe, als auch die Tötung durch Gewaltanwendung ohne Gerichtsurteil
ermöglichen.
Gemäß Artikel 2 des
Protokolls Nr. 6 zur EMRK kann ein Staat durch Gesetz die Todesstrafe für Taten
vorsehen, welche in Kriegszeiten oder bei unmittelbarer Kriegsgefahr
begangen werden.
Gemäß Artikel 2 Abs.
2 der EMRK ist eine Tötung keine Rechtsverletzung, wenn sie durch eine
Gewaltanwendung verursacht wird, die erforderlich ist, um jemanden gegen
rechtswidrige Gewalt zu verteidigen, jemanden rechtmäßig festzunehmen,
oder um einen Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen.
Diese Bestimmungen
haben gemäß Ziffer 3 der Erläuterung zum Recht auf Leben gemäß Artikel 52 Abs.
3 der Charta die gleiche Bedeutung und Tragweite und sind Teil der Charta.
Es ist daher mehr
als unangebracht, eine Diskussion über jene Norminhalte zu verbieten, die –
wenn auch versteckt und offenbar für Politiker nicht leicht erkennbar – bisher
unangefochtener Rechtsbestand der Europäischen Union sind.
Die Glaubwürdigkeit
der Europäischen Union ist schon seit langem auf dem Spiel.
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