Sonntag, 31. Juli 2016

"Verfall der Rechtlichkeit der Politik"

Stellungnahme vom 23.7.2016  zum Türkei-Putsch und zur Todesstrafe in der EU von Dr. Eva Maria Barki, Rechtsanwältin in Wien mit Spezialgebiet Nationalitäten-, Volksgruppen- und Menschenrecht. 
Die Reaktion der Europäischen Union und zahl­rei­cher Politiker aus Anlass des geschei­terten Putsch-Versuches und deren Folgen in der Türkei geben Anlass zur Besorgnis.
Wieder einmal zeigt sich die poli­tisch moti­vierte, sach­lich nicht gerecht­fer­tigte und daher ungleiche Behandlung von Staaten und Regierungen, auf die aus geo­po­li­ti­schen oder wirt­schaft­li­chen Gründen Druck aus­geübt werden soll.
Anstelle sich mit den wahren Ursachen und Zielen des Putsch-Versuches aus­ein­an­der­zu­setzen, wel­cher nicht nur min­des­tens 200 Todesopfer gefor­dert hat, son­dern wel­cher zwei­fellos zur Destabilisierung im Inneren bei­ge­tragen und das Konfliktpotential in der gesamten Region erhöht hätte, werden die Reaktionen zur Wiederherstellung von Recht und Ordnung kri­ti­siert.
Selbst wenn diese Kritik in jenem Bereich berech­tigt ist, in wel­chem rechts­staat­liche Grundsätze ver­letzt werden, so ist das zwei­erlei Maß, mit dem gemessen wird, unan­ge­bracht.
Beispielhaft hierfür ist die Ausrufung des Notstandes und teil­weise Aussetzung der Europäischen Menschenrechtskonvention für die Dauer von 3 Monaten sowie die Diskussion über eine all­fäl­lige Wiedereinführung der Todesstrafe. Beides unter­liegt einer hef­tigen Kritik, wäh­rend diese bei anderen Staaten ver­misst wird.
In Frankreich erfolgte die Ausrufung des Notstandes unter Aussetzung der Europäischen Menschenrechtskonvention aus weniger gewich­tigen Gründen und wurde nun­mehr um wei­tere 6 Monate ver­län­gert.
Die Ukraine hat die Europäische Menschenrechtskonvention auf dem Gebiet des eine Autonomie for­dernden Ostens aus­ge­setzt, wie­wohl die Voraussetzungen des Artikel 15 EMRK, näm­lich öffent­li­cher Notstand bzw. Bedrohung des Lebens der Nation, von der Zentralregierung selbst durch Ausübung aggres­siver Gewalt her­vor­ge­rufen wurde, und zwar gegen eine Volksgruppe, welche ihr Recht auf Selbstbestimmung gemäß Artikel I. der beiden UN- Menschenrechtspakte 1966 gel­tend macht. Eine Verurteilung der Verletzung dieses wesent­lichsten Grundsatzes des Völkerrechtes ist aus­ge­blieben.
Ebenso ist zu bemerken, dass auch Großbritannien nicht gerügt wird, wie­wohl seit dem 11.9.2001 Artikel 5 EMRK de facto außer Kraft gesetzt wird. Einreisende Personen, welche für Terroristen gehalten werden, können auf unbe­grenzte Zeit in Sicherungshaft genommen werden, Passanten können unter Terrorverdacht ange­halten und durch­sucht, sowie ihre Telefone abge­hört werden.
All diese Rechtsverletzungen werden mit Stillschweigen zur Kenntnis genommen, wäh­rend andere Regierungen aus poli­tisch moti­vierten Gründen sogar für Rechtsverletzungen gerügt werden, die objektiv gar nicht vor­liegen. Ungarn ist ein Beispiel.
Besonders zynisch und gleich­zeitig eine Verletzung des Grundsatzes der Freiheit der Meinungsäußerung ist die Verurteilung jeg­li­cher Diskussion über die Todesstrafe.
Zynisch des­halb, weil die Europäische Union selbst die Verhängung der Todesstrafe nicht abge­schafft, son­dern aus­drück­lich in ihrem Rechtsbestand bei­be­halten hat. Das Protokoll Nr. 13 zur Europäischen Menschenrechtskonvention, wel­ches die voll­stän­dige Abschaffung der Todesstrafe beinhaltet, wurde in die Charta der Grundrechte der Europäischen Union aus­drück­lich und bewusst nicht auf­ge­nommen.
Im Gegensatz dazu wurden in den Erläuterungen zur Charta der Grundrechte vom 14.12.2007 (2007/C 303/02) jene Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention auf­ge­nommen, welche sowohl die Todesstrafe, als auch die Tötung durch Gewaltanwendung ohne Gerichtsurteil ermög­li­chen.
Gemäß Artikel 2 des Protokolls Nr. 6 zur EMRK kann ein Staat durch Gesetz die Todesstrafe für Taten vor­sehen, welche in Kriegszeiten oder bei unmit­tel­barer Kriegsgefahr begangen werden.
Gemäß Artikel 2 Abs. 2 der EMRK ist eine Tötung keine Rechtsverletzung, wenn sie durch eine Gewaltanwendung ver­ur­sacht wird, die erfor­der­lich ist, um jemanden gegen rechts­wid­rige Gewalt zu ver­tei­digen, jemanden recht­mäßig fest­zu­nehmen, oder um einen Aufruhr oder Aufstand recht­mäßig nie­der­zu­schlagen.
Diese Bestimmungen haben gemäß Ziffer 3 der Erläuterung zum Recht auf Leben gemäß Artikel 52 Abs. 3 der Charta die gleiche Bedeutung und Tragweite und sind Teil der Charta.
Es ist daher mehr als unan­ge­bracht, eine Diskussion über jene Norminhalte zu ver­bieten, die – wenn auch ver­steckt und offenbar für Politiker nicht leicht erkennbar – bisher unan­ge­foch­tener Rechtsbestand der Europäischen Union sind.
Die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union ist schon seit langem auf dem Spiel.




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